„Musste Comedy als Waffe einsetzen!“ Comedian Negah Amiri (29) über ihren inneren Kampf (2024)

Mentales Tief trotz Erfolg

„Musste Comedy als Waffe einsetzen!“ Comedian Negah Amiri (29) über ihren inneren Kampf

Trotz äußerlicher Erfolge hat Negah Amiri eine Therapie angefangen und bespricht im RTL+ Podcast mit Psychologin Dr. Myri: „Ich fühle was, was du nicht siehst“ alles rund um das Thema mentale Gesundheit. Was dieser Schritt für sie alles ins Rollen gebracht hat und woher ihre Angst kommt, alles Erreichte von heute auf morgen zu verlieren, lesen Sie hier.

Negah Amiri (29) im Interview: "Traurige Seite gehört genauso zu mir, wie die Comedy-Rolle"

RTL: Sie sehen super aus und verdienen Ihren Lebensunterhalt mit Humor und Lachern. Außenstehende würden nie auf die Idee kommen, dass es Ihnen mental nicht immer gut geht, warum war das so?

Negah Amiri: Irgendwann habe ich mal eine sehr ernste Seite an mir entdeckt. Das fand ich richtig gruselig! Erstens, dass ich manchmal schlecht drauf war und dann aber auf die Bühne gegangen bin und plötzlich sozusagen eine Maske angezogen – und einfach funktioniert habe. Alles nur, um die Leute zum Lachen zu bringen.

Zweitens fand ich es komisch, dass ich so stark umschalten konnte. Als ich mich dann noch ein bisschen mehr damit beschäftigt habe, wollte ich diese ganz ernste und traurige Seite aufarbeiten, weil ich jahrelang versucht habe, diese innere Traurigkeit zu verdrängen – und zwar mit meiner Comedy-Rolle. Im Laufe der Zeit wurde mir aber immer klarer, dass diese traurige Seite genauso zu mir gehört wie die Comedy-Rolle und von mir genauso anerkannt werden sollte.

Welche Themen mussten Sie für sich aufarbeiten – und was hat das mit Ihrer Kindheit im Iran zu tun?

Für mich war es das Schlimmste, von heute auf Morgen alles zu verlieren! Dieses Gefühl habe ich verinnerlicht und tatsächlich bis heute. Das Gefühl, dass morgen alles vorbei sein kann.

Meine Familie hatte zuerst eine romantische Vorstellung von der Flucht, dass man einfach das Land verlässt und nach einer Woche lebt man in einem freien Land und alles ist gut. Nur für mich war diese Zeit unmittelbar vor der Flucht vor allem von traurigen Abschieden geprägt und das hat mich lange nicht losgelassen.

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"Macht schon etwas mit einem, wenn man nie wieder seine Heimat sieht"

Woran genau können Sie sich noch erinnern?

Ich habe diese letzten Bilder tatsächlich alle noch im Kopf. Zum Beispiel davon, als ich zum letzten Mal meine Tante gesehen habe, die wie eine zweite Mutter für mich war. Und auch davon, als ich dann wirklich mit elf Jahren meine Heimat verlassen habe, mit meiner Mutter und meinem Bruder.

Es macht schon etwas mit einem, wenn man nie wieder seine Heimat sieht, sein Haus, seine Straße und einfach nie wieder dieses Gefühl von zu Hause hat. Irgendwie habe ich gemerkt, dass sich über Jahre hinweg bei mir ein Gefühl von Entwurzlung und einem „noch nicht angekommen sein“ eingestellt hat.

Wie wirkt sich das Gefühl von Heimatlosigkeit auf Ihr Leben aus?

Ich fühle mich oft immer noch wie auf der Flucht und deswegen passt der Job auch gut zu mir. Als Comedian bin ich viel unterwegs, fahre von Stadt zu Stadt.

Ich glaube, dass ich mir das so ausgesucht habe, weil ich das Gefühl von Heimat nie so richtig kennengelernt habe. Wahrscheinlich hängt das alles miteinander zusammen. Auch deshalb, weil ich Comedy als Waffe einsetzen musste, um mit bestimmten Situationen klarzukommen.

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Ihre Erfahrung interessiert uns! Haben Sie schon darüber nachgedacht, eine Therapie zu machen?

Negah Amiri: "Wurde wegen meines Namens und Parallele zum N-Wort gehänselt"

Welche Situationen waren das, in denen Sie Comedy als Waffe eingesetzt haben?

Als ich mit meiner Mutter aus dem Iran nach Deutschland kam, war anfangs vieles für mich schwer. Ich wurde wegen meiner schlechten Deutschkenntnisse, oder wegen meines Namens und der Parallele zum N-Wort in der Schule gehänselt.

Dann habe ich den Humor für mich eingesetzt, um mit diesen Anfeindungen umzugehen. Mein Ziel war es, dass die Leute mich nicht mehr auslachen, sondern mit mir lachen! Humor war mein Instrument, um mit der Situation zurechtzukommen. So kam ich über die Jahre zur Comedy und das ist der Schmerz, der dahintersteckt und den ich lange verdrängt habe.

Wann war klar, dass Sie Ihre wahren Gefühle nicht mehr überspielen wollen?

Bei mir lief alles gut, ich war erfolgreich und hätte mich eigentlich gut fühlen müssen. Doch dieses Gefühl der Traurigkeit kam trotzdem weiter in mir auf. Zum Beispiel, wenn ich morgens aufgestanden bin. Oder auch häufig nach Bühnenshows, wenn der Adrenalin-Kick nachgelassen hat. Ich kam nachhause oder ins Hotel und da war dann einfach nur Stille. Oft hat sich dann bei mir ein Gefühl von Unzufriedenheit eingestellt, was ich aber lange „wegmeditiert“ habe.

Meditation ist auch ein super Tool, aber zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht so klar, dass ich diese Traurigkeit auch therapeutisch auflösen kann. Irgendwas steckt immer dahinter.

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„Dass ich die Therapie angefangen habe, ist das Beste, was mir passieren konnte"

Wann haben Sie sich therapeutische Hilfe gesucht?

Vor etwa einem Jahr habe ich mit meiner Therapie beim Psychologen angefangen und ziemlich zeitgleich habe ich dann auch Dr. Myri kennengelernt und die Idee für den Podcast umgesetzt.

Dass ich in dieser Zeit auch mit der Therapie angefangen habe, ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte, weil ich dadurch nach und nach diese Gründe für meine Traurigkeit auflöse. Und da gibt es echt viel mehr Themen, als ich gedacht hätte – ich glaube, mit mir hat der Psychologe seine Lebensaufgabe gefunden (lacht).

Welche mentalen Probleme hatten Sie zu dieser Zeit?

Bei mir ist es vor allem das Thema „Inneres Kind“. Und dieses innere Kind ist bei mir oft sehr traurig. Vieles kommt noch aus der Schulzeit in Deutschland, die Schule war sehr problematisch. Dort gab es alles! Da haben schon Kinder Gras geraucht und du musstest dich durchboxen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Und das passt überhaupt nicht zu meinem inneren Kind, das eher künstlerisch begabt ist, kreativ, und schüchtern. Diese Seite musste von mir musste ich während meiner Schulzeit einsperren, weil ich es schützen wollte. Jetzt klopft es aber immer wieder an.

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Negah Amiri: "Das innere Kind will gesehen und umarmt werden"

Wie haben Sie gelernt, damit umzugehen?

Bei mir geht es viel darum, diese Gefühle zuzulassen und dass man auch weiß, dass trotzdem alles in Ordnung ist. Man erkennt: ‚Ok, du bist nicht nur dieses traurige Gefühl, aber es gehört zu dir.‘

Das innere Kind will gesehen und umarmt werden. Dagegen müssen wir nicht ankämpfen und glauben, dass es für immer bleibt und man sozusagen für immer „krank“ ist. Das ist nur ein Gefühl von vielen, das Durchfließen und anerkannt werden will.

Anmerkung der Redaktion: Beim Modell „Inneres Kind“ geht man davon aus, dass Erfahrungen in der Kindheit Verhaltensweisen, Denken und das Fühlen als Erwachsener beeinflussen. Demnach kann man das innere Kind durch Auseinandersetzung mit diesen Themen “heilen”.

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"Viele Menschen tragen im Alltag Masken, würde damit gerne brechen"

Der Podcast von Ihnen und der Psychologin Dr. Myri heißt: „Ich fühle was, was du nicht siehst“ Ist der Name auf Sie gemünzt, weil man mentale Probleme bei einem Comedian nicht erwartet?

Genau. Ich glaube aber, dass wir ganz oft nur die Fassaden der Menschen sehen. Häufig wissen wir gar nicht, was sich dahinter verbirgt, oder warum wir sind, wer wir sind. Viele Menschen tragen im Alltag Masken und ich würde gerne damit brechen und authentischer sein, auch für mich selbst.

Ich habe für mich festgestellt, wie gut es tut, authentisch sagen zu können, ob es mir gerade gut, oder eben mal nicht gut geht. Dafür bekomme ich auch von meiner Community oft positives Feedback, weil sie merken, dass sie mit solchen Gefühlen nicht allein sind. Wer seine Probleme anpackt, für den gibt es immer einen Weg und eine Lösung.

Liebe Negah Amiri, vielen Dank für das offene Gespräch!